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Ihr, die ihr Muad'dib verehrt, lest dies.
Ihr, die ihr die Lügen des Qizarats und die Übertreibungen von Prinzessin Irulan glaubt, lest dies.
Ihr, die ihr die Wahrheit achtet, lest dies.
Bronso von Ix, Einleitung zu seinem ersten Pamphlet (ohne Titel)
Jessica bereitete sich auf Gegenwind vonseiten wütender Stadtbewohner vor, die Freunde, Angehörige oder respektable Gemeindemitglieder verloren hatten. Doch die Reaktion auf die Hinrichtung einer Handvoll Dissidenten auf Caladan hätte sehr viel schlimmer ausfallen können. Zumindest fürs Erste akzeptierten viele der verstimmten und unzufriedenen Bewohner die Erklärung der Herzogin, mit der sie die Schuld unmittelbar Bürgermeister Horvu, dem Priester Sintra und den anderen Anführern der Revolte anlastete. Nachdem sie erläutert hatte, wie die guten Leute von Caladan durch die Bene Gesserit manipuliert worden waren, reagierten die Bürger beschämt und richteten ihre Wut gegen die Schwesternschaft statt gegen Jessica. Schließlich hatte das Volk von Caladan nie zuvor offen seinem rechtmäßigen Herzog oder seiner Herzogin getrotzt!
Nach ihrer Freilassung beglückwünschten die Qizara-Geiseln Jessica zu ihrem schnellen und zielsicheren Urteil, und sie versprachen, sich für Caladan starkzumachen, damit diese Welt und ihr Volk nicht von Muad'dibs Zorn getroffen wurde. Sie kehrten etwas angeschlagen, aber zufrieden nach Arrakis zurück.
Dann gab Bronso von Ix sein erstes schockierendes Manifest heraus. Es war gegen Ende des Jahres 10.200, als die Pundi-Reisbauern ihre Terrassen für die kommende Erntezeit vorbereiteten ... als Muad'dib gerade eine entsetzliche Streitmacht entsandt hatte, um elf weitere Planeten zu sterilisieren ... als der Djihad kein Ende zu nehmen schien.
Das Pamphlet, das weit verbreitet, vervielfältigt und von einer Hand zur nächsten gereicht wurde, entsetzte und reizte die Menschen mit kühnen und skandalösen Behauptungen. Nachdrücklich riefen die Gläubigen dazu auf, den Ruf und die Heiligkeit des Imperators Paul Muad'dib zu schützen. Auf Caladan reagierten jene, die vielleicht noch über die Hinrichtung von Horvu und seinen Mitverschwörern gemurrt hatten, plötzlich erzürnt über die anklagenden Passagen in Bronsos Texten – tatsächlich waren sie so wütend, dass sie allen von diesen empörenden und beleidigenden Behauptungen erzählen mussten.
Pauls Generäle und Priester gaben sofort einen Haftbefehl für den Abtrünnigen von Ix aus, doch Bronso Vernius war nirgends aufzufinden. Nachdem er den Großteil seines Vermögens beiseitegeschafft und heimlich die Schatzkammern des Hauses Vernius geleert hatte, war Bronso aus dem Großen Palais abgereist und ins All entschwunden, ohne einen Hinweis auf seinen Aufenthaltsort zu hinterlassen.
Djihad-Truppen unter den Bannern der reinen Lehre kreisten Ix ein, schwärmten in der unterirdischen Stadt Vernii aus, befragten alle Angehörigen des Technokraten-Rats und wollten wissen, wer dem Verräter dabei geholfen hatte, seine volksverhetzenden Schriften zu verbreiten. Die ixianischen Ratsmitglieder, die um ihr Leben bangten, stritten jedes Wissen über Bronsos Aktivitäten ab und verurteilten ihn nachdrücklich. Unglücklicherweise fand der militärische Arm des Qizarats ihre Dementis nicht überzeugend. Bolig Avati überlebte die Befragung nicht, genauso wie viele andere ...
Gurney brachte Jessica eins der Pamphlete, als sie gerade ihren neuen Garten im Hof von Burg Caladan pflegte. »Haben Sie gelesen, was Bronso schreibt, Mylady?«
Sie klopfte die Erde um einen neuen duftenden Rosmarinbusch fest. »Nein, ich habe beschlossen, nicht darüber nachzudenken.«
Er schien vor Verärgerung kaum an sich halten zu können. »Das habe ich mir von einem Scheiterhaufen unten an den Anlegestellen geschnappt. Die Dorfbewohner haben Kopien von einem Mann beschlagnahmt, der sie in seinem Gepäck gefunden hat. Sie sind so aufgebracht über die Beleidigungen gegen Paul, dass sie den Mann ebenfalls in die Flammen werfen wollten. Er beharrte darauf, nicht zu wissen, wie die Schriften in seinen Besitz gelangt waren, und ich habe ihn zum Heighliner zurückgeschickt, um ihm das Leben zu retten.« Er wurde leiser. »Genauso wie Sie möchte ich kein gegen Paul gerichtetes Gefasel lesen ... aber wenn ich das hier vorher gelesen hätte, dann hätte ich den Mann vielleicht dem Volk überlassen.«
Gurney hielt ihr das Pamphlet entgegen, doch Jessica machte nach wie vor keine Anstalten, es anzunehmen. Sie wischte sich die Erde von den Händen. »Und was genau macht dich so wütend? Hast du schon so lange Irulans zuckersüße Berichte gelesen, dass du vergessen hast, dass Paul in Wirklichkeit nie auf dem Wasser gewandelt ist?«
Gurney runzelte die Stirn und setzte sich neben sie auf eine Steinbank im Garten. »Genau genommen behauptet Irulan, dass er über den Sand wandelt und dabei keine Fußabdrücke hinterlässt.« Er schlug das Pamphlet erneut auf, überflog eine Seite und warf es dann angewidert zu Boden, um seinen Standpunkt zu bekräftigen. Jessica hob es nicht auf.
»Um ehrlich zu sein, Mylady, ich kann nicht behaupten, dass er in Bezug auf die Tatsachen völlig falsch liegen würde. Aber seit Rhombur getötet wurde und Bronso dem Haus Atreides den Rücken zugekehrt hat, wusste ich, dass er Ärger machen würde. Der Junge hat seinen Hass schwären lassen, und jetzt ... dies.« Frustriert beugte Gurney sich dichter an sie heran. »Warum regt Sie das nicht viel mehr auf?«
Jessica bedachte ihn mit einem rätselhaften, schmerzvollen Lächeln, schnitt einen aromatischen Zweig vom Strauch ab und atmete tief ein. »Ach Gurney, die Regierung meines Sohnes ist stark genug, um ein bisschen Kritik auszuhalten – und vielleicht tut sie ihr sogar gut. Natürlich werden die Priester sich Augen und Ohren zuhalten, aber Paul hört vielleicht zu, und Alia auch.«
»Ich schätze, Sie haben Recht, Mylady. Herzog Leto hätte sich niemals vor ein paar Beschwerden gefürchtet.« Ein wehmütiger Ausdruck trat auf Gurneys Miene. »Ich selbst habe mir eine ähnliche Tat zuschulden kommen lassen. Als ich sehr viel jünger war, habe ich das eine oder andere Liedchen über den Baron Harkonnen gesungen.« Er summte und sang dann den Refrain:
»Wir schuften im Feld und in der Stadt,
Das ist unsres Lebens Los.
Denn die Flüsse sind breit und die Täler tief,
und der Baron – ist fett.«
Er schüttelte den Kopf, um die hässlichen Erinnerungen zu vertreiben. »Als die Harkonnen-Truppen gehört haben, wie ich dieses Lied sang, haben sie mein Baliset zertrümmert, mich um ein Haar zu Tode geprügelt und mich in eine Sklavengrube geworfen.«
Jessica legte ihre Hand auf seine und erkannte damit schweigend an, was er alles durchgemacht hatte. »Du siehst also, Gurney, dass wir Bronso ignorieren sollten. Wahrscheinlich wird er einfach wieder aufhören.«
Doch sie wusste, dass Bronso von Ix gerade erst anfing.